Färöer – Norwegen

Internet, Kaffee, Supermarkt, Wasser bunkern, Familie treffen und weiter geht’s. Tatsächlich verlassen wir Torshavn schon 27 Stunden nach unserer Ankunft und lassen einen winkenden Haufen Familie am Pier zurück, deren Fähre uns schon in wenigen Minuten überholen wird. Die Wettervorhersage verspricht 25 Knoten Wind aus Nord für einige Tage und wir bereiten uns gedanklich nicht nur auf die schnellste Überfahrt unseres Lebens, sondern auch auf die direkte Weiterreise nach Norwegen vor. Sollten wir die Shetlands auslassen können und guten Wind haben, dann haben wir unseren Zeitplan bald nicht nur ein- sondern sogar überholt.
Clarissa übernimmt die erste Schicht und kämpft sich unter Motor eine Meile nach der anderen gegen die Strömung und den sehr schwachen Wind voran. Erst als ich übernehme dreht der Wind, frischt auf und erleichtert mir die Schicht, arme Clarissa. Endlich vom Wind angetrieben beginnen wir unsere rasante Fahrt auf die Shetlands hin. Fünf, sechs, sieben, acht Knoten und mehr schaffen wir beim Surfen auf den Wellen im immer stärker werdenden Wind. Nach 24 Stunden sind wir bereits bis auf 50 sm an das Nordkap der Shetlands heran gekommen, da erreicht uns der aktualisierte Wetterbericht. 40 Knoten soll es bei uns geben und leicht östlich sogar 50. Bei Nordwind sollten 40 Knoten ja kein größeres Problem darstellen, die kaputte Sturmfock sorgt trotzdem für ein äußerst unruhiges Gefühl. Was, wenn es doch mehr als 40 werden? Was, wenn die Strömung nördlich der Shetlands gegen den Wind und die Welle geht und aus den ohnehin schon hohen Wellen gefährliche Brecher macht? Einen Hafen können wir nicht mehr anlaufen bevor der Sturm einsetzt, dafür sind wir noch zu weit vom Land entfernt, uns bleibt also nur ablaufen und notfalls den Seeanker ausbringen. Solange wie möglich wollen wir Richtung Osten halten um vom Nordkap fern zu bleiben. So werden wir im Sturm wenigstens nicht aufs Land gedrückt und werden hoffentlich von den schlimmsten Strömungen verschont. Die Arbeitsfock ist bereits angeschlagen und wir kommen auch im Sturm gut weiter nach Osten. Wind aus NW mit 30, 35, 40 Knoten und bald sogar noch mehr. Um uns herum brodelt das Meer und wir schießen in die Wellentäler hinab bevor wir wieder den Berg hinauf jagen. Laut Wetterbericht sollen wir von abends bis um ca. 6 Uhr morgens Prügel bekommen, was wir uns immer wieder in den Kopf rufen, während wir die Uhr ablesen und überlegen in welcher Zeitzone es jetzt wohl 6 Uhr sein mag, immerhin ist es bei uns bereits Mittag. An sich ist das Ablaufen vor dem Wind kein Problem, ja macht oft sogar Spaß. Bei Gegenströmung wie in unserem Fall, wird die Welle jedoch sehr steil, türmt sich auf und bricht. Jedes mal wenn eine besonders hohe, steile oder brechende Welle das Boot ergreift und wir über den Kamm ins Tal schießen, verändert es unweigerlich seinen Kurs nach Luv bis wir quer zur Welle stehen und die Segel kurz flattern. Erwischt uns in einem solchen, ungünstigen Moment eine Böe, dann hat die Windsteueranlage zu wenig Kraft und Hebelarm, um das Boot wieder auf Kurs zu bringen. Viele Male müssen wir diese Bewegungen von innen mit verfolgen, während sich unsere Muskulatur immer weiter verkrampft, je weiter wir eine solche Welle hinab gesurft sind. Den Höhepunkt der Muskelstarre erreichen wir jedes Mal dann, wenn wir gerade mit zehn Knoten durch die Wellen rutschen, noch von der vorherigen Welle quer stehen und klatsch, eine kräftige Backpfeife von der nächsten Welle bekommen. Nicht nur die Wassermassen sind gewaltig, die in einem solchen Moment auf das Boot einstürzen und sogar unseren Sprayhood-Bügel verbogen haben, nein auch der seitliche Versatz und die Krängung sind erschreckend und erinnern uns immer wieder an unseren Sturm vor Grönland. Wir haben Angst, flach aufs Wasser gedrückt zu werden. Nicht nur einmal purzeln die Bücher aus den Regalen, doch dieses Mal bleiben wir vom Kentern verschont und 12 Stunden später als erwartet lässt der Wind endlich nach. Die Wellen werden immer kleiner, während wir uns bereits einige Meilen östlich der Shetlands befinden und auf unserem Weg nach Norwegen sind. Hunderte von Bohrinseln scheinen allein zur Erleuchtung des Himmels in der Nordsee platziert worden zu sein, denen wir mit unseren (inzwischen) etwas veralteten Karten ausweichen müssen. Sollte ich mich nicht täuschen, dann scheint es als sei keine Bohrinsel mehr dort wo sie vor zwei Jahren mal war. Für eine Solo-Überquerung lässt sich dieser Teil der Reise jedenfalls nicht empfehlen, denn bei Tage sieht man die Inseln deutlich schwerer als im nächtlichen Lichtermeer. Dort schauen sie nur alle paar Minuten hinter der gewaltigen Dünung hervor, die der Wind der letzten Tage uns zurück gelassen hat.
Während des Sturmes hat unser Vorsegel immer wieder geschlagen und am Ende sogar ein paar Halsen der Windsteueranlage mitmachen müssen. Bei diesen Schlägen sind die Stagrutscher (eine Art Karabiner, die man am Vorstag einhakt um das Segel zu befestigen) losgegangen und das Segel hin nur mehr an wenigen. An einem dieser wenigen Stagrutscher muss der Zug nun zu hoch gewesen sein und es hat sich ein kleines Loch gebildet. Wir wechseln auf die Genua, der Wind ist ohnehin schwach und soll auch die kommenden Tage meist unter 20 Knoten bleiben. Erst schwach, dann bald auch wieder frisch weht die nördliche Brise über uns her und schon bald können wir das europäische Festland sehen. Mit gemischten Gefühlen wird mir klar, wie nahe ich der Rückkehr, der Heimat und dem Alltag wieder bin und immer wieder starre ich aufs Meer hinaus, wo sich der Blick im nichts verliert. Jetzt kann ich ein bisschen mehr verstehen und nachvollziehen wie und was der bekannte Segelautor Montesquien in „Der verschenkte Sieg“ berichtet hat. Die Harmonie der See ist eben doch unverkennbar.
Hundert Meilen geht es entlang der Küste Norwegens. Der Wind nimmt auf mehr als 20 Knoten zu und jagt uns wieder einmal über die Wellenberge bis ich irgendwann die Genua berge. Ein Loch. Wieder einmal ein Loch im Segel. Das Material wird langsam alt und reißt bei zu großer Belastung immer schneller. Die Genua gleicht langsam einem Flickenteppich. Die letzten Meilen also ohne Vorsegel, dann doch mit der Fock zur Unterstützung. Ankommen werden wir mitten in der Nacht oder am frühen Morgen, der Wind hat inzwischen wieder etwas nachgelassen und an schlafen will keiner denken. Inzwischen sind wir am Wind unterwegs und ich winsche das Segel dicht. Ein altbekannter Fehler, wie ich kurz darauf feststellen muss, denn der Bugkorb war im Weg. Mit Betonung auf war, denn im Segel befindet sich nun ein grässlich anzusehendes Loch. Ein Riss der Länge nach wohl um die 30 cm und ein ebenso breiter zweiter Riss quer. Zwei Segel für den Segelmacher innerhalb von zwei Tagen. Der wird sich auch seinen Teil dabei denken…
Erst im Morgengrauen laufen wir in Christiansand ein, schnappen uns einen der vielen Liegeplätze in der beinahe leeren Marina und rufen den Zoll an um einzuklarieren. Das sei nicht nötig, versichert man uns telefonisch und heißt uns willkommen zurück in Europa.

2 Gedanken zu „Färöer – Norwegen

  1. Stefan

    Hallo Ihr zwei Helden,

    großes Kino was Ihr da erlebt, schreibt und verbreitet. ANNE und Crew sind seit gut einem Monat wieder im ‚richtigen‘ Leben.

    Gebt doch mal eure geplante Ankunft an, vielleicht schaffen wir es zum Winken 😉

    Alles gut für die restlichen Meilen!
    ANNE ahoi!

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  2. winfried

    Schoen Euch langsam wieder in der Nähe zu wissen, bin froh dass Ihr Nordatlantik und Nordsee (fast) hinter Euch habt.. Bin nach 3,5 Monaten Auszeit auch wieder im Alltag angekommen. Liebe Gruesse und Danke fuer Eure Grönlandkarte winfried

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