Grönland – Island 3: Sturm und Ankunft

Schon seit längerer Zeit haben wir ein Tiefdruckgebiet beobachtet, das sich vom Kap Farvel in Richtung Island bewegt und, zu unserem Glück, sich gut südlich von uns halten soll. Bis heute Morgen glauben wir fest daran, dass es bei uns ruhig bleiben wird, trotzdem haben wir die Frequenz der Wetterberichte verdoppelt und erhalten nun morgens und abends einen Bericht aus Deutschland mit der Prognose für die nächsten Tage. Das Tief wird immer stärker, vertieft sich, die Hektopascal schrumpfen dahin und außerdem scheint es sich immer weiter in Richtung Norden, in unsere Richtung, zu bewegen. Gut einen Tag bevor das Wetter bei uns ankommt ist klar, wir erwarten mindestens 35 Knoten aus Osten, laut Navtex sogar bis zu 23 m/s, d.h. 46 Knoten. Wir schießen weiter mit sechs Knoten auf Reykjavik zu, der Wind dreht aber immer weiter gegen uns und bald laufen wir hart am Wind. Wir befinden uns noch immer in den „Deep Sea Banks“ im SW von Island, Navtex kündigt bis zu 30 m/s (60 Knoten) und damit Orkan an, wir erhalten aber Gute Botschaft von zu Hause. Noch 40 Meilen bis zu den West Banks, südlicher Teil, dem einzigen Seegebiet, in dem unter 50 Knoten, ja sogar unter 40 Knoten sein werden. Einen halben Tag soll es noch dauern bis der Wind auf uns eindrischt. Die letzten Müllbeutel werden verstaut, das letzte Essen gekocht und das letzte Wasser getrunken während es dunkel wird. Ich schiebe Schicht, kämpfe um jede Meile in Richtung West Banks und warte auf das Auffrischen des Windes. Als wir nicht mehr Kurs laufen können und gleichzeitig der Wind auffrischt ist es Zeit die große Genua zu bergen. Die Arbeitsfock überspringe ich direkt und – wie fast erwartet, laufen wir eine Stunde später bereits wieder volle Fahrt bei 25 Knoten Wind. Es ist noch immer früher Morgen, der Wind frischt aber bereits auf. Das sieht eher nach dem Wetter aus dem Navtex-Bericht aus als nach dem Wetterbericht meines Vaters. Der Wind frischt weiter auf und bald reist es uns eine Schelle aus dem Baum, die das Unterliek nach achtern gespannt hat. War sowieso Zeit zu reffen. Wir sind inzwischen gut vierzig Meilen innerhalb der „West Banks“ und sollten damit dem schlimmsten entkommen sein. Ein kurzer Anruf daheim, alles beim Alten – gut so. Wir verstecken uns unter Deck, spielen mal ein bisschen Karten, essen mal eine Tafel Schokolade oder malen uns wieder irgendwelche schönen Dinge aus, um die latent im Raum stehende Angst, wir könnten erneut kentern, zu vertreiben. Die See wird rauer und rauer, die Segel schlagen furchtbar, das Schiff bleibt aber auf Kurs. Bis Reykjavik sind es noch über siebzig Meilen und wir müssen genau gegen den Wind an, der auch die nächsten Tage aus Osten ballert wie noch was. Der Windmesser ist leider bei 40 Knoten ausgefallen und zeigt nur noch 99 Knoten an, während die Wellen auf unser Deck eindreschen, unsere Segel und Stage vibrieren und die Wandten in Lee die Form der Mondsichel nachahmen, beginnen wir langsam mit der Suche nach einem passenderen Hafen, in den wir vielleicht schon am nächsten Morgen einlaufen können. Rif, ein Fischerhafen rund 60 Meilen nordöstlich von Reykjavik scheint nicht nur groß genug zu sein,um darin bei jedem Wind manövrieren zu können, er liegt außerdem auf unserem Kurs und ist nur vierzig Meilen entfernt. Wir wollen es trotzdem nach Reykjavik schaffen, schließlich wartet meine Familie sicher schon dort um uns zu empfangen und Wäsche müssen wir auch dringend mal waschen. Als kurz darauf eine mächtige Welle über das Deck fegt und das Fenster der Sprayhood zerreißt, entscheiden wir, doch nach Rif zu segeln. Die letzten Stunden bis Rif vergehen wie im Flug, während wir mit Halbwind 7-8 Knoten aufs Ziel zu machen und der Wetterbericht passend zu unserer Ankunft einen Winddreher auf Süd mitsamt zeitweise bis auf 30 Knoten abnehmenden Wind ankündigt. Die Bedingungen währen also quasi ideal. Wir schreiben eine SMS an die in Island sitzende Familie und erfahren, dass diese wegen des Sturms nicht bis Reykjavik gefahren sind, sondern nur wenige Kilometer von Rif entfernt campen. Wir verabreden uns auf drei Uhr nachts zum Leinen annehmen am Steg, während wir uns langsam in Landabdeckung begeben und das nahe Land in der Dunkelheit versinkt. Diesmal haben wir es wohl ohne Kentern geschafft, denn die nahe Landabdeckung verspricht Sicherheit und Schutz während ich den Motor starte um die kurzen Windlöcher zu überbrücken, die uns immer häufiger ausbremsen. Noch bevor wir ankommen verständigen wir die Küstenwache und bitten darum, dass man uns in Rif einklariert. Eine besorgte Stimme antwortet und bestätigt Rif als unseren ersten Hafen in Island. Der Hafenmeister sei informiert, der Zoll würde morgen informiert werden und wir mögen uns doch bitte melden sobald wir im Hafen seien. Zwei oder drei weitere Gespräche mit der Küstenwache folge kurz darauf – man macht sich offensichtlich Sorgen um eine Yacht, die bei diesem Wetter auf See ist. Kein Wunder, wie wir später feststellen, denn 50 km südlich von uns gab es zeitweise 70 Knoten Wind. Der Wind ist inzwischen bis auf 27 Knoten abgesunken und wir bergen die Segel vor der Hafeneinfahrt. Der Draht, der sich durchs Vorliek der Sturmfock zieht, ist durch die Vibration herausgerissen und das Vorliek somit auf einer Länge von ca. 30 cm ohne Spannung. Das erklärt auch die furchtbaren Geräusche, die die vermeindlich schlagenden Segel verursacht haben. Kein Problem, wir fahren ja jetzt mit Rückenwind in den Hafen. Vorbei an einigen großen Fischern bis ans Ende des langen Beckens, wo wir laut unserem Segelführer einen Holzsteg zu erwarten haben. Noch bevor wir dort angekommen sind, drehe ich schon ab. Das kleine Becken ist gefüllt mit Motorbooten und lässt kaum Freiraum zum Manövrieren. Ich will lieber an einen der Dicken, längsseits ans Fischerboot wie auch in Grönland üblich. Fünf Minuten und drei Kringel im breiten Hafenbecken später ist alles geschehen. Zwei der Kreise haben wir gebraucht um uns über das Boot einig zu werden, welches sich am besten eignen sollte, den dritten, um eine Böe von knapp 30 Knoten abzuwarten, die im falschen Moment aus der Windabdeckung hervor schoss.
Auf dem Steg steht bereits ein orangener VW Bus, den ich nur zu gut aus Deutschland kenne. Mitten in der Nacht wird Brokkolisuppe und Kaffee für uns gekocht, keiner denkt ans Schlafen und wir tauschen die neuesten Geschichten aus. Um 4:30 sagen wir gute Nacht, morgen ist schließlich auch noch ein Tag und ich möchte früh am Morgen einklarieren.
Der Wecker klingelt um acht Uhr und ich mache mich auf die Suche nach dem Hafenbüro. Der Hafen ist nicht für private Yachten gedacht, weswegen wir keine Gebühren zahlen müssen. Die modernen Duschen dürfen wir zu unserer Freude dennoch benutzen und man erlaubt uns für einige Tage an dem Fischerboot längsseits zu bleiben und die Insel mit dem Bus zu erkunden. Was wollen wir mehr? Den Rest des Tages verbringen wir mit Putzen, Trocknen, Aufräumen und Packen. Geschenke und Care-Pakete werden übergeben und wir können endlich wieder im Internet surfen. Was man(n) eben so macht nach einer ungemütlichen Überfahrt.
Wir fahren für fünf Tage quer über die Insel, wobei wir sechs Personen in den Bus quetschen und immer wieder alles Gepäck hin und her räumen müssen um an das Gesuchte heran zu kommen. Nachts wird das Dachzelt aufgebaut und die Rückbank umgeklappt um genügend Raum für alle zu schaffen. Wir besuchen Geysire, brodelnde Quellen und Flüsse, fahren Schotterpisten mit einem 30 Jahre alten VW Bus, die nur mit 4×4 Antrieb zu fahren sein sollen, wandern bei Regen und Schnee durch die Berge, baden in heißen Seen und Flüssen und spazieren am scheinbar endlosen, schwarzen Sandstrand von Vik. Innerhalb weniger Tage versuchen wir so viele Facetten von Island kennen zu lernen wie möglich und sehen dennoch nur einen Bruchteil dessen, was sehenswert ist.
Inzwischen sind wir wieder bei unserem Boot angekommen und wollen heute Abend nach Reykjavik aufbrechen. Meine Schwester und eine Freundin von ihr werden uns bis dort hin begleiten, um segeln in Island zu erleben. Unser Plan ist es von Reykjavik aus zu den Westmännern zu segeln, zu dem Dorf „Höfn“ im Südosten überzusetzen und von dort aus den Sprung zu den Färöern zu wagen. In wenigen Tagen sind wir also schon wieder auf See und lassen Island hinter uns.

Ein Gedanke zu „Grönland – Island 3: Sturm und Ankunft

  1. Heike

    Lieber Jonathan!
    Nach 3 Wochen am stürmischen französischen Atlantik südlich der Gironde, in denen ich oft am Meer saß und voller Achtung darüber nachdachte, dass du „da ganz rum“ segelst! Großes „Hut ab“! Ich lese dein Blog total gerne und grusele mich oft, ob deiner Abenteuer. Hab vielen Dank für deine Karten, auch meine Mutter lässt vielmals grüßen, wir wissen es sehr zu schätzen, dass du uns bedacht hast. Wir freuen uns schon sehr, dich bald wiederzusehen. Behüt dich Gott, deine Sippe

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